Julian M. bestand die Lehre nicht, war arbeitslos und hatte viel Zeit. Dann rekrutierte er Jugendliche und wurde er Kopf einer gewaltbereiten Neonazigruppe. Am Dienstag beginnt der Strafprozess gegen ihn.
Am Ende seiner Ausbildung fiel er durch die Prüfung, er hatte keinen Job, bekam Arbeitslosengeld und hatte viel Zeit.
Auch ich habe nach dem Abbruch einer Ausbildung Neonazi-Gruppen aufgebaut. Das passiert jedem mal
Julian M., 24 Jahre alt, Sohn eines Polizisten, war Kopf einer extrem gewaltbereiten Neonazitruppe, einer von vielen deutschlandweit, die seit Frühsommer 2024 aktiv sind und Jugendliche anziehen.
Und die immer gewaltbereiter wurden, wie die Sicherheitsbehörden vermerken. Michael Fischer, Chef des Berliner Verfassungsschutzes, spricht von einem neuen, gefährlichen Phänomen.
Klarstellung: Gewaltbereite Neonazi-Jugendgruppen sind nicht neu, neu ist, dass sie unabhängig von etablierten Neonazi-Organisationen entstehen und über Social Media deutlich mehr Zulauf haben
Auch M. scharrte viele Jüngere um sich. Ab Dienstag muss er sich vor dem Landgericht wegen Bedrohung, räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und versuchten schweren Raubs verantworten.
Er soll an mehreren brutalen Angriffen auf politische Gegner beteiligt gewesen sein.
Am 23. Oktobers 2024 war Schluss damit. Mehr als hundert Polizisten aus Berlin und Brandenburg stürmten die Wohnungen von neun mutmaßlichen Mitgliedern der jungen Neonazi-Gruppierungen „Deutsche Jugend Voran“ und „Jung und Stark“.
Um 14.30 Uhr am Tag der Razzia meldet sich erstmals ein „Jung und Stark“-Mitglied im internen WhatsApp-Chat.
Er nennt sich „Timo“ und schreibt Folgendes: „Info an euch alle“: „Heute wurden mehrere Personen der DJV sowie JS von den Bullen hochgenommen. Ihr habt solange nichts zu befürchten, solange ihr nix gemacht habt.“ Es sei klar, dass „die Bullen“ die Chats durchschauen.
Nicht alle nehmen die Warnung ernst. „Sollten die meine Bude stürmen, geht meine Bude hoch. Hier liegen jetzt Bomben“, sagt ein junges Mitglied via Sprachnachricht.
Ihr behauptet gerade in einem von den Polizei überwachten Chat per Sprachnachricht, dass ihr Sprengstoff Bunkern würdet.
Andere Gruppenmitglieder drohen rohe Gewalt an. Umfangreiche Protokolle der Kommunikation liegen dem Tagesspiegel vor.
Die Dummheit macht mich fertig
Julian M. wird festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Er hat sich als Leiter der Gruppierung „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) in Berlin und Brandenburg hervorgetan.
Binnen kürzester Zeit rekrutierten Gruppen wie DJV und „Jung und Stark“ (JS) vor allem über die sozialen Netzwerke neue Mitglieder.
Gemeinsam reisten sie zu Neonazi-Protesten gegen CSD-Märsche nach Bautzen, Leipzig, Magdeburg oder Oranienburg. Julian M. hatte stets eine führende Rolle. Am Megafon gab er den Einpeitscher.
Staatsanwaltschaft und Gerichte in Brandenburg gingen in seiner Jugend nachsichtig mit ihm um.
Mit 14 Jahren fiel er erstmals auf, es folgen weitere Verfahren. Bis er 18 Jahre alt ist, unter anderem wegen Diebstahl, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Unterschlagung. Alles wurde eingestellt.
Als er 20 Jahre alt ist, ergeht vom Amtsgericht Tiergarten eine Weisung wegen Unterschlagung und Raub gegen ihn. 2022 folgt das erste Urteil: eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 20 Euro, insgesamt 600 Euro, wegen Hausfriedensbruch.
Im Oktober 2024, kurz bevor er in Untersuchungshaft kam, wurde er wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 30 Euro verurteilt.
Zu dieser Zeit gibt er in der Neonazigruppe den Ton an. Ende August verschickt er eine Sprachnachricht auf WhatsApp .
„Ich werde euch alle töten, ich werde euch alle töten“, schreit der „DJV“-Leiter in sein Handy. Und: „Ich zünde deinen ganzen scheiß Block an, du Fotze!“. Ziel des Wutausbruchs ist ein Mädchen, die tags zuvor aus der „DJV“ austrat.
Wirkt wie ein ausgeglichener Junge
Es ist der Abend des 13. Septembers. M. und sechs Kameraden lauern einem Mann in Berlin-Marzahn auf.
Dieser trägt ein T-Shit mir einem Emblem der Antifa.
Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass die Neonazi-Gruppe ihrem Opfer drohte, ihm massivem Schaden zuzufügen, wenn dieser sein Shirt nicht herausrückt.
Einer der Rechtsextremen schlägt dem Mann zweimal auf die Schläfe, kurzzeitige Sehstörungen sind die Folge. Schließlich händigt er aus Angst vor weiteren Schlägen sein Shirt an die Rechtsextremen aus.
Später am Abend posiert die Gruppe mit ihrer „Beute“ für ein Foto in der nahen Kneipe „Zapfhahn“. Hier treffen sich die Neonazis regelmäßig.
Das Foto landet auf Instagram. Das wird M. zum Verhängnis, denn Ermittler rekonstruieren so, dass er an dem Überfall beteiligt war.
Deren Opsec ist echt schlecht
Nur sieben Tage später kommt es zu einer weiteren Tat. M. wollte sich an einem Mann rächen, weil dieser mal Streit mit seiner Ex-Freundin hatte. In der DJV-Chatgruppe rief M. zur Jagd auf ihn auf.
In der Nähe des U-Bahnhofs Kaulsdorf-Nord in Hellersdorf wurde er von M. und mindestens vier weiteren Täter gestellt.
Der Mann versuchte noch zu einer Bushaltestelle zu fliehen. Dort soll M. ihm drei bis viermal mit der Faust gegen den Kiefer geschlagen haben, weitere Male mit der flachen Hand auf das Auge.
Die anderen Neonazis sollen den Mann dabei festgehalten haben. Als er am Boden lag, soll ihm mindestens einmal in den Bauch getreten worden sein.
Dann soll M. eine Pistole gezogen haben, für das Opfer war nicht erkennbar, dass es eine ungeladene Luftdruckwaffe war.
M. soll gesagt haben, dass er ihn abknallt und die Waffe durchgeladen haben. Eine Scheinhinrichtung. Dem Mann gelang es, in einen Bus der BVG zu flüchten.
Am 19. Oktober 2024 fand in Marzahn eine antifaschistische Demonstration gegen die zunehmende rechte Gewalt im Kiez statt.
Die Neonazis meldeten einen Gegenprotest an. Knapp hundert Rechtsextreme zogen durch die Plattenbausiedlungen.
Neben „Deutsche Jugend Voran“ und „Jung und Stark“ reiste die Gruppe „Chemnitzrevolte“ aus Sachsen an, außerdem Jugendliche aus Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.
„Chemnitzrevolte“ klingt nach einer billigen Kopie von „Elblandrevolte“
Bis zum Abend gab es keine größeren Zwischenfälle, doch gegen 21.45 Uhr stiegen 19 Rechtsextreme gemeinsam in die S-Bahnlinie 7.
Zwischen den Stationen Friedrichsfelde Ost und Lichtenberg vermummte sich die Gruppe mit Schlauchschals und klebte die Überwachungskameras
Im gleichen Wagon saßen zwei Freunde. Sie hörten Musik, einer von ihnen trug eine Jacke mit einem Antifa-Aufkleber.
M. soll gemeinsam mit anderen Neonazis den Fahrgast aufgefordert haben, seine Jacke auszuziehen.
Sie sollen ihn dann geprügelt und getreten haben, mindestens ein Neonazi soll Schlaghandschuhe getragen haben. Schließlich soll M. ihm mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen haben.
Der Mann ging zu Boden und verlor seine Brille. Am Boden wurde der Fahrgast weiter getreten, vor allem ins Gesicht. Die restlichen Neonazis hielten andere Fahrgäste, die eingreifen wollten, zurück.
Die Gewalttat in der S-Bahn zeigt, wie vernetzt die rechtsextremen Jugendgruppen sind.
Beteiligt waren auch rechtsextreme Jugendliche aus Halle, die im Dezember maßgeblich für eine brutale Attacke auf SPD-Wahlkämpfer in Berlin-Lichterfelde verantwortlich sind.
Der Fall Julian M. zeigt aber auch, wie scharf die Berliner Sicherheitsbehörden auf die Gewalttaten reagiert haben.
Im Prozess sind mehrere Beamte geladen, die zu ihrem Schutz codiert wurden. Es sind Polizisten aus Observationsteams der örtlichen Direktion und des Landeskriminalamtes.
Auch die Mütter der jugendlichen Neonazis wurde als Zeugen benannt.
Wie kommt man denn nach dem Bericht zu der Analyse?